Innovationen… alles dreht sich zurzeit um Innovationen. Und immer häufiger hört man die Rufe nach mehr sozialer Innovation. Doch was genau versteht man darunter? Eine neue Form der wohltätigen Innovation? Oder vielleicht eine gerechtere Innovation? Doch was ist schon gerecht?
Nein. Soziale Innovation steht für die Entwicklung, Einführung und Umsetzung von neuen Ideen, Praktiken, Dienstleistungenen oder Modellen, mit denen die Bewältigung gesellschaftlicher Probleme besser adressiert werden kann. Diese Innovationen sind die Antwort auf bestehende soziale Zwänge und Herausforderungen. Dabei sind Homeoffice, Foodsharing und Energiegenossenschaften nur einige prominente Beispiele der letzten Jahre. Wer jetzt als Unternehmer die Augen verdreht, hat nicht verstanden, dass diese Form der Innovation sehr häufig auf technologischen Erfindungen beruht. So ist das Smartphone heute der Knotenpunkt vieler sozialer Aktivitäten und Carsharing ist nur deshalb als gängige Alternative zum eigenen Auto umsetzbar, weil sich entsprechende Buchungssysteme über das Internet etabliert haben. Es gibt viele Gründe, warum soziale Innovationen wichtig sind, z.B. um die Arbeitsbedingungen zu verbessern, für mehr Bildung zu sorgen oder die Bevölkerung gesünder zu ernähren. So kann man sagen, dass soziale Innovationen für die Stärkung der Zivilgesellschaft notwendig sind.
Grüne Wassertechnologien und Innovationen, wie z.B. Trinkwassergeneratoren, die Luftfeuchtigkeit einfangen und in Trinkwasser umwandeln, sind laut einem Artikel der Huffpost von 2015 Beispiele für soziale Innovationen, die dazu beitragen können, das Problem der ungleichen Verteilung von sauberem Trinkwasser jetzt und in der Zukunft zu mildern. Man würde erwarten, dass vor allem NGOs (Non Governmental Organizations, regierungsunabhängige Organisationen) die maßgeblichen Treiber hinter sozialen Innovationen sind. Und ja, das sind sie auch. Überraschenderweise erfolgt die Umsetzung jedoch häufig als konsortiale Anstrengung zwischen Vertretern der Politik, Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft.
Merkmale der Sozialen Innovation
Laut IdeaScale.com weisen soziale Innovationen mehrere Hauptmerkmale auf, die sie von anderen Formen der Innovation unterscheiden, wie z.B.:
Diese Merkmale machen das Wesen der sozialen Innovation aus und bestimmen ihren Ansatz und ihre Denkweise, um einen sinnvollen und dauerhaften sozialen Wandel zu bewirken.
Beispiele für soziale Innovation
IdeaScale.com hat einige bemerkenswerte Beispiele für soziale Innovation in verschiedenen Bereichen und Sektoren zusammengestellt, die uns zwar allen bewusst sind, die wir aber vielleicht nie als solche wahr genommen haben:
Mikrofinanzinstitutionen wie die Grameen Bank haben ein innovatives Finanzgeschäftsmodell entwickelt, um Kleinkredite und Finanzdienstleistungen für Personen bereitzustellen, die traditionell vom formalen Bankensystem ausgeschlossen sind. Dieser Ansatz hat dazu beigetragen, einkommensschwache Kleinunternehmen zu stärken und die wirtschaftliche Entwicklung in vielen Gemeinden zu fördern.
Initiativen zur Förderung erneuerbarer Energien, wie z. B. Solar- und Windkraftprojekte, sind wichtige Beispiele für soziale Innovation. Diese Lösungen gehen auf Umweltbelange ein und bieten nachhaltige Alternativen zu fossilen Brennstoffen, indem sie saubere Energieoptionen bieten und Kohlenstoffemissionen reduzieren.
Organisationen wie TOMS Shoes und Warby Parker haben ein Buy-one-give-one-Modell eingeführt, bei dem sie für jedes verkaufte Produkt ein ähnliches Produkt an Bedürftige spenden. Dieser Ansatz der schrittweisen Innovation verbindet Rentabilität mit sozialer Wirkung, indem er Probleme wie den Zugang zu Schuhen und Brillen für benachteiligte Bevölkerungsgruppen angeht.
Labore für soziale Innovation, wie das MaRS Solutions Lab und das Nesta Innovation Lab, bieten Raum für Experimente, Zusammenarbeit und Co-Creation, um komplexe soziale Herausforderungen anzugehen. Diese Labore bringen verschiedene Interessengruppen zusammen, darunter politische Entscheidungstragende, Forschende, Unternehmen sowie Bürgerinnen und Bürger, um in einem partizipativen und iterativen Prozess innovative Lösungen zu entwickeln und zu testen.
Die Open-Source-Software-Bewegung, für die Projekte wie Linux und Wikipedia beispielhaft sind, hat den Wissensaustausch und die Zusammenarbeit revolutioniert. Sie ermöglicht es den Menschen, frei auf Software- und Informationsressourcen zuzugreifen, sie zu nutzen und zu ihnen beizutragen, was die globale Zusammenarbeit fördert und den Zugang zu Wissen und technologischen Innovationen demokratisiert.
Modelle der Kreislaufwirtschaft, wie Recycling- und Upcycling-Programme, zielen darauf ab, Abfälle zu minimieren und die Ressourceneffizienz zu maximieren. Diese Initiativen fördern nachhaltige Produktions- und Konsummuster, indem sie den gesamten Lebenszyklus von Produkten neu konzipieren, die Umweltbelastung verringern und wirtschaftliche Möglichkeiten schaffen.
Digitale Plattformen und Technologien wie Crowdfunding-Plattformen (z. B. Kickstarter, GoFundMe) und Online-Plattformen zur Interessenvertretung (z.B. Change.org) haben es Einzelpersonen und Organisationen ermöglicht, Ressourcen zu mobilisieren und das Bewusstsein für soziale Anliegen zu schärfen. Durch die Nutzung digitaler Innovationen erleichtern diese Plattformen die Beteiligung an der Basis und befähigen Einzelpersonen, den sozialen Wandel voranzutreiben.
Social Impact Bonds, auch bekannt als Pay-for-Success-Verträge, sind innovative Finanzierungsmechanismen, die private Investoren, gemeinnützige Organisationen und Regierungen zusammenbringen, um soziale Probleme zu lösen. Die Investoren stellen vorab Kapital zur Finanzierung von Sozialprogrammen zur Verfügung, und die Regierung zahlt ihnen nur dann eine finanzielle Rendite zurück, wenn vorher festgelegte soziale Ergebnisse erreicht werden.
Diese Beispiele veranschaulichen die Vielfalt der sozialen Innovationsinitiativen, die weltweit entstanden sind, und demonstrieren die transformative Kraft innovativer Ideen, Ansätze und Kooperationen bei der Lösung sozialer Probleme und der Schaffung eines positiven sozialen Wandels.
Warum soziale Innovation wichtig ist
Wie Diana Porumboiu vom finnischen Softwareentwickler Viima Anfang 2021 im hauseigenen Blog ausführt, können in einer hypervernetzten Welt von heute die gesellschaftlichen Probleme eines fremden Landes schnell zu den eigenen werden. Die Länder der Dritten Welt sind mit langsamem Wirtschaftswachstum, finanzieller Instabilität, politischen Unruhen, Hunger, Armut und Krankheiten konfrontiert. All dies sind gesellschaftliche Probleme, die auf die eine oder andere Weise angegangen werden müssen, um zu verhindern, dass als einzige Lösung die Massenflucht in wohlhabendere Regionen bleibt. Und solche großen Probleme bieten natürlich auch gute Möglichkeiten, mit Lösungs-angeboten finanzielle Profite zu erzielen. Laut einer OECD Studie von 2007 entstehen mehr als 80% des Wirtschaftswachstums durch Innovation und die Anwendung neuen Wissens. Eine wirklich wohlhabende Gesellschaft besteht heutzutage sowohl aus wirtschaftlichem als auch aus sozialem Wohlstand. Traditionell wurde dieser anhand des BIP eines Landes beurteilt. Heute ist es immer üblicher, auch Frieden und Glück, individuelle Freiheiten und finanzielles Wohlergehen zu berücksichtigen (Joshanloo, Jovanovic und Taylor, PLoS One 2019; 14-10: e0223221).
Wird der Wohlstand aus diesem Blickwinkel betrachtet, sieht man, dass wohlhabende Gesellschaften einen innovativen Ansatz für aktuelle soziale Fragen haben, denn laut einem Standford Social Innovation Review Artikel aus dem Jahre 2013 von Urama und Archeampong brauchen komplexe Probleme innovative Lösungen. Und hier treten soziale Innovationen auf den Plan, denn sie bringen eine neue Denkweise mit sich, die die enge Sichtweise auf soziale und gewinnorientierte Unternehmen als zwei sich gegenseitig ausschließende Bereiche hinter sich lassen. Soziale Innovation wird häufig immer noch fälschlicherweise als Wohltätigkeit angesehen. Es ist aber inzwischen klar, dass soziale Innovation dem Innovationsbereich eine zusätzliche Dimension verleiht und wirtschaftliches sowie soziales Wachstum fördert. Bei der sozialen Innovation geht es nicht nur darum, Gutes für die Gesellschaft zu tun, sondern auch darum, gute Geschäfte zu machen.
Die Diskrepanz zwischen wachsendem BIP und stagnierendem Glück
Was sind die Faktoren, die Menschen glücklich und zufrieden machen sowie ihnen das Gefühl von Erfülltheit vermitteln? Und wie hängen diese mit Innovationen zusammen? Abbas J. Alis Untersuchungen von 2014 legen nahe, dass es eine enge Verknüpfung zwischen Innovation, Glücklichsein und ökonomischem Wachstum gibt (DOI:10.1108/CR-09-2013-0075). Laut dem World Happiness Report von 2022 ist Finnland wieder einmal das glücklichste Land der Welt. Und es wird dicht gefolgt von Ländern wie Schweden, Dänemark, der Schweiz und den Niederlanden. Sie alle sind wohlhabende Gesellschaften, die für sozialen Wohlstand sorgen und außerdem zu den zehn innovativsten Ländern der Welt gehören. Eine unrühmliche Ausnahme in dieser Beziehung stellt Deutschland dar. Mit Platz 14 gehört Deutschland nicht zu den Top Ten der glücklichsten Länder, rangiert aber, was Innovationen angeht, ein Platz über Finnland (Global Innovation Index 2022). Daraus können wir schließen, dass ein wachsendes BIP nicht ausreicht, um glückliche, wohlhabende Gesellschaften zu schaffen, da sie mehr als nur Finanzkraft benötigen. Bestes Beispiel hierfür ist China, das Land mit dem zweithöchsten BIP, aber weit davon entfernt, eine wohlhabende und zufriedene Gesellschaft im westlichen Sinne zu haben. Die Ökonomie des Glücks ist zwar kein neues Konzept, aber nun entdecken immer mehr Unternehmen den geschäftlichen Wert, indem sie sich die Rolle von Wellness und Wohlbefinden für ihr eigenes Produktivitätswachstum zunutze machen.
Schlussfolgerungen
„Soziale Innovation ist der Prozess der Entwicklung und des Einsatzes von effektiven Lösungen für herausfordernde und oft systemische soziale und ökologische Probleme zur Unterstützung des sozialen Fortschritts. Soziale Innovation ist nicht das Vorrecht oder Privileg irgendeiner Organisationsform oder Rechtsstruktur. Lösungen erfordern oft die aktive Zusammenarbeit von Akteuren aus der Regierung, der Wirtschaft und der Non-Profit-Welt.“ Sarah A. Soule, Neil Malhotra und Bernadette Clavier, Universität Stanford
Jetzt, da einigen Unternehmensführungen vielleicht bewusst geworden ist, dass Umsatzsteigerung als alleiniger Marker für den Erfolg ihrer Unternehmen nicht mehr ausreicht, wäre es wünschenswert, dass sie das große Potenzial der sozialen Innovation erkennen. Unternehmen haben die Macht und damit eine Vorreiterrolle, positive Veränderungen im Konsumverhalten herbeizuführen. Sie können die derzeit bestehenden Standards ändern und verbessern sowie einen sozialen Mehrwert schaffen, ohne dass die Geschäftsziele darunter leiden müssen. Die Herangehensweise an Innovation kann von Unternehmen zu Unternehmen, von Organisation zu Organisation unterschiedlich sein, und soziale Innovation mag vielleicht nicht die einzige - aber möglicherweise eine sehr wichtige - Lösung für das eigene Unternehmen, die eigene Organisation sein!