Wie wir bereits im ersten Teil des Blogs „Strategie – eine Einführung“ erfahren haben, versteht man unter Strategie einen generellen Plan, mit dem man unter ungewissen Bedingungen ein Gesamtziel oder eine Vision erreichen möchte.
In den Wirtschaftswissenschaften versucht man, diese ungewissen Bedingungen besser einschätzen zu können, indem man für die Vorhersage von Marktbewegungen und Interaktionen zwischen rational handelnden Personen die Spieltheorie nutzt. Die Spieltheorie geht auf den Mathematiker John von Neumann zurück, der 1928 untersuchte, wie sich Gesellschaftsspiele (z.B. Schach und das „Bluffen“ beim Poker) mathematisch lösen lassen, indem Entscheidungen mehrerer Beteiligter in Bezug zueinander gebracht werden.
1944 veröffentlichte John von Neumann dann zusammen mit Oskar Morgenstern das Buch „Games and Economic Behaviour“, in dem die zuvor auf Gesellschaftsspiele angewandte Theorie nun auf wirtschaftliche Fragestellungen überprüft wurde. John Nash erweiterte 1950 diese Theorie von Nullsummenspielen, bei denen Gewinne und Verluste aller Beteiligten sich ausgleichen, auf Situationen, in denen alle Beteiligten gewinnen können (Nash-Gleichgewicht), auch wenn sie sich nicht unbedingt dadurch verbessern (Gefangenendilemma).
Warum ist es sinnvoll, sich mit der Spieltheorie zu beschäftigen? Weil sie sich mit unterschiedlichen Strategien am Markt beschäftigt, genauer gesagt, mit dem Verhalten von unterschiedlichen Unternehmen im Wettbewerb am Markt. Die einzelnen Akteure werden dabei als „Spieler“ angesehen, deren Entscheidungen vom jeweiligen Verhalten des Anderen bedingt abhängig sind. Um selber Entscheidungen treffen und Strategien entwickeln zu können, müssen die Spieler dabei immer die Aktionen und Reaktionen der Mitspieler im Auge behalten. In der Spieltheorie unterscheidet man zwischen der kooperativen Version, in der die Spieler Absprachen (bindende Verträge) abschließen können und der nicht-kooperativen Version, in der das Eigeninteresse der Spieler im Vordergrund steht und keine bindenden Absprachen getroffen werden dürfen. Letztere ist aktions- und strategieorientiert, weswegen wir uns hier nur auf diese Variante fokussieren. Um die Wahrscheinlichkeiten besser darstellen zu können, bedient man sich der Normalform, die in einer Bimatrix aufgeführt und bei statischen Spielen zur Anwendung kommt, wo alle Spieler ihre Entscheidungen gleichzeitig treffen. Dagegen wird bei der Extensivform ein Spielbaum mit Verzweigungen genutzt und bei dynamischen Spielen eingesetzt, wo alle Spieler ihre Entscheidungen nacheinander treffen (www.bwl-lexikon.de).
Das Nash-Gleichgewicht und das Gefangenendilemma
Wie bereits erwähnt, liegt ein Nash-Gleichgewicht vor, wenn kein Spieler durch alleiniges Abweichen von seiner Strategie seine Situation im Spiel oder am Markt verbessern kann. Voraussetzung für die Vorhersage sind a) es können keinerlei Absprachen zwischen den Spielern erfolgen (nicht-kooperativ) und b) alle Spieler handeln rational. Als klassisches Beispiel kann hier das Gefangenendilemma herangezogen werden.
Nach einer Straftat werden 2 Verdächtige A und B festgenommen und separat verhört (keiner der beiden weiß, ob der andere gesteht oder nicht). Die Entscheidungen (Gestehen oder nicht Gestehen) erfolgen unabhängig voneinander, also praktisch gleichzeitig. Hier kommt die Normalform zum Tragen und die Überlegungen können in einer Bimatrix dargestellt werden.
Es gibt folgende Möglichkeiten:
Die Situation lässt sich in folgender Matrix darstellen:
Beispielhafte Lesart: 5,5 im linken oberen Feld bedeutet, dass sowohl A als auch B 5 Jahre erhalten, wenn sie beide gestehen; analog bedeutet 1,10 im rechten oberen Feld, dass A 1 Jahr bekommt und B 10 Jahre, wenn nur A gesteht und so weiter.
Es ist aus der Tabelle offensichtlich, dass "Gestehen" immer die beste Alternative aus Sicht von A ist, unabhängig davon, was B macht: wenn auch B gesteht, sind es für A 5 Jahre (statt 10, wenn A nicht gesteht); sollte B nicht gestehen, bekommt A 1 Jahr Haft (statt 2, wenn A nicht gesteht). A kann sich also nicht durch alleiniges Abweichen von der Strategie "Gestehen" verbessern. Und umgekehrt: auch aus Sicht von B ist es besser, zu gestehen, egal was A macht. B kann sich ebenfalls nicht durch alleiniges Abweichen von der Strategie "Gestehen" verbessern (www.welt-der-bwl.de/Nash-Gleichgewicht).
Es ist also die wahrscheinlichste Lösung, dass beide gestehen werden, mit dem Ergebnis, dass beide fünf Jahre Haft bekommen. Ist es die beste Strategie? Nein. Es ist ein Kompromiss, der auf Egoismus aufbaut und eine schlechte Gesamtstrategie abbildet, da offensichtlich im Vorfeld vor der Verhaftung versäumt wurde, eine Taktik für den Fall der Verhaftung zu vereinbaren. Denn dann wäre die Situation optimal für beide ausgegangen, ohne sich weiter absprechen zu müssen. Wenn beide nämlich nicht gestehen, ergibt sich das Ergebnis aus dem vierten Matrixfeld und jeder Gefangene bekommt nur 2 Jahre Haft.
Unternehmen sollten eigentlich nach solchen nicht-kooperativen Regeln bei der Preisgestaltung handeln, doch gerade bei den Mineralölkonzernen hat man immer wieder den Eindruck, dass Preisabsprachen durchgesetzt werden, vor allem vor großen Reisewellen im Umfeld von Feiertagen. Es ist die Aufgabe des Kartellamtes, diese Absprachen zu unterbinden und den „freien“ Markt den Preis bestimmen zu lassen. Solange jedoch die Gewinne aus den Preisabsprachen deutlich höher sind als die drohenden Strafen, wird sich an diesem Modell nichts ändern.
Nicht empfehlenswert ist auch die Wandlung eines nicht-kooperativen, rationalen Preisnachlasses in einen nicht-kooperativen, irrationalen (emotionalen) Preiskrieg, der im schlimmsten Fall beiden Unternehmen massiv schadet. So geschehen in den 1980er Jahren in Köln, als sich die Unternehmen Saturn und Schlembach in die Wolle bekamen und sich bei den Schallplattenpreisen im Tagesrhythmus gegenseitig zu unterbieten begannen. Schließlich ging jede Schallplatte für maximal 1,99 DM über den Ladentisch. Wenn wirtschaftliches Denken zurücktreten muss und nur noch die „Kunst des Krieges“ mit dem Ziel der Vernichtung des gegnerischen Unternehmens im Vordergrund steht, kann von rationalem Handeln aus ökonomischer Sicht nicht mehr die Rede sein, denn der Schaden für das eigene Unternehmen wird hierbei kategorisch ausgeblendet.
Das hier aufgezeigte gegenseitige Reagieren in Abhängigkeit vom Verhalten des bzw. der Konkurrenten ist eine typische Extensivform, die sich am besten in einem Spielebaum darstellen lässt:
Durch den Spielbaum wird die zeitliche Komponente in dem Spiel berücksichtigt, da die Reaktion von Unternehmen B erst in Folge der Aktion von Unternehmen A entsteht. Am Ende eines jeden möglichen Entscheidungsastes stehen die zu erwartenden Ergebnisse. Der erste Wert steht dabei für die zu erwartende Entwicklung bei Unternehmen B, die zweite für Unternehmen A. Man kann an den Zahlen am Ende (Nominalnutzwerte) eines jeden Astes erkennen, dass die jeweiligen Ergebnisse vom Handeln des anderen Spielers abhängig sind.
In der Spieltheorie gibt es viele Spielarten. Neben der kooperativen und nicht kooperativen Spielart unterscheidet man auch noch zwischen dem symmetrischen und asymmetrischen Spiel. Ein symmetrisches Spiel ist nicht von der Strategie eines Spielers abhängig, sondern kann durch die Strategie eines weiteren Spielers beeinflusst werden, so wie z.B. beim Gefangenendilemma (s.o.) und der Hirschjagd. Bei der Hirschjagd kann der Hirsch nur von beiden Spielern gemeinsam erlegt werden. Entscheidet sich aber einer der Spieler lieber für die leichtere Jagd auf den Hasen, die auch ohne den zweiten Spieler gelingen kann, geht dieser leer aus. Des Weiteren gibt es Nullsummenspiele wie z.B. Poker und Schach, bei denen die Spieler die Ressourcen nicht erhöhen können. Wie im richtigen Leben ist das „Geld“ nicht weg, es wechselt einfach nur den Besitzer/Spieler (Umverteilung zwischen Gewinner und Verlierer). Beim Nicht-Nullsummenspiel können mehrere Gewinner entstehen, wenn - wie beim „Kampf der Geschlechter“ - Interessen sich überschneiden und dadurch die Gesamtsumme ungleich Null ergibt. Hier möchten zwei Parteien unterschiedliche Dinge tun (z.B. Fußballspiel vs. Konzert). Allerdings einigt man sich, dass man den Abend auf jeden Fall zusammen verbringen möchte, weil die Alternative das Schlechteste aller Ergebnisse wäre und deswegen ein Kompromiss unter Absprache gefunden wird (In der Matrix wäre das eigene favorisierte Event mit 3, der Kompromiss mit 2 und getrennte Events mit 0 zu bewerten).
Auch das Gefangenendilemma kann als nicht-kooperatives Nicht-Nullsummenspiel abgebildet werden, während der Kampf der Geschlechter eine kooperative Variante darstellt. Zuletzt gibt es noch das gleichzeitige vs. dem sequentiellen Spiel. Wie der Name schon sagt, handeln die Spieler in der ersten Variante gleichzeitig (z.B. Schere, Stein, Papier), bei der zweiten hintereinander (z.B. Schach).
Bei allen Spielvarianten gibt es unterschiedliche Strategien. Die einfachste zu bestimmende und vorherzusagende Strategie ist die dominante Strategie, genauer, die strikt dominante Strategie. Sie verspricht den größten Nutzen/Gewinn für die Spieler. Zur Veranschaulichung bedienen wir uns eines Beispiels von studyflix.de, wobei wir den Gründer der Einfachheit halber Sven nennen: Sven eröffnet eine neue Firma und möchte sich am Markt gegen den großen Konkurrenten im Limonadengeschäft etablieren. Die Frage, die Sven sich stellt, ist, ob er vermehrt Werbung schalten sollte, obwohl er nicht weiß, wie die Werbestrategie der Konkurrenz aussehen wird. Die Wirkung seiner Werbung wird allerdings auch das Werbeverhalten der Konkurrenzfirma beeinflussen.
Geht die Konkurrenzfirma davon aus, dass Sven Werbung schalten wird, wird sie nachziehen und ebenfalls ihr Produkt bewerben. Mit Werbung erhält sie einen Nominalnutzwert von zehn, oder von nur sechs. Schaltet Sven keine Werbung, die Konkurrenzfirma aber doch, erhöht sich ihr Wert auf fünfzehn. Somit ist Werbung schalten für die Konkurrenz immer die bessere Strategie, unabhängig davon, was Sven entscheidet. Werbung schalten ist für die Konkurrenzfirma die strikt dominante Strategie. Das Gleiche gilt für unseren Gründer Sven und sein Startup. Auch hier gilt gleichermaßen: Werbung zu schalten ist die strikt dominante Strategie. Da für beide Firmen die gleiche Strategie zum Tragen kommt, ist es recht einfach zu prognostizieren, was das Ergebnis des Spiels sein wird.
Ein weiteres Beispiel für eine dominante Strategie gab es zu Zeiten des „Kalten Krieges“. Der Mathematiker und Nobelpreisträger John von Neumann riet in dieser Zeit zum atomaren Erstschlag, weil seine Spieltheorie dies als dominante Strategie ausgab (WDR Zeitzeichen, 2022). Was er aber dabei völlig außer Acht ließ, war der Fakt, dass die atomare Abschreckung nicht auf einer streng rationalen Überlegung basiert, wie es die Spieltheorie fordert, sondern auf dem emotionalen Gedanken, dass es bei einem atomaren Erstschlag keine Gewinner, sondern nur Verlierer geben wird. Die Angst spielt hier eine große und nicht zu vernachlässigende Rolle gegenüber dem reinen Kalkül. Bedenklich ist, dass die Algorithmen einer KI genau derselben strengen Ratio und Logik folgen, die die Spieltheorie fordert. Und KI dringt zunehmend in alle unsere Lebensbereiche ein. Beim Militär ist es bereits ein wichtiger Bestandteil geworden. Laut The Decoder, 2023 wird KI beim Militär bereits in der Logistik, der Aufklärung, im Cyberraum und in der Kriegsführung eingesetzt und hier werden autonom handelnde Drohnen bereits als die dritte Revolution in der Kriegsführung bezeichnet. Wenn die KI immer mehr unser Denken und Handeln übernimmt, haben wir das Spiel schon verloren.
Zusammenfassung
Mit 16 (!) Nobel-Preisen in den Wirtschaftswissenschaften zum Thema Spieltheorie wird jedem Wissenschaftler klar, welche Bedeutung dieser „neue“ Zweig für unser aller Leben gewonnen hat. Dabei ist es doch nur eine mathematische Methode, die versucht, das Handeln von Akteuren auf einem Markt als Spiel zu begreifen und Vorhersagen zu treffen. Und der Einfluss der Spieltheorie reicht bereits von der Mathematik über die Wirtschafts- und Rechtswissenschaften, die Psychologie, Soziologie und Informatik bis hin zum militärischen Einsatz. Der hier beschriebene sehr kurze Einblick in die Thematik kratzt gerade einmal an der Oberfläche dieses sehr komplexen und stetig wachsenden wissenschaftlichen Gebietes. Wer wenig Zugang zur Mathematik oder den Wirtschaftswissenschaften hat, sich aber trotzdem in dem spannenden Gebiet der Spieltheorie weiterbilden möchte, dem sei folgendes Lehrbuch empfohlen, das zwar schon in die Jahre gekommen ist, aber weitgehend Erklärungen ohne allzu vieler mathematischer Formeln findet: „Spieltheorie für Einsteiger“ von Barry J Dixit und Avinash K Nalebuff, 1995, Schäffer-Poeschel.