Open Innovation...die Lösung aller Probleme?Artikel vom 07. Juni 2024

Wenn man dem neuen Hype nach der Startup-Welle glauben darf, dann scheint dem tatsächlich so zu sein. Aber mal ehrlich…wer glaubt heute noch irgendeinem Hype? Offene Innovation? Wie funktioniert das und was ist das eigentlich?

© Kurhan / 123RF

 

Was ist Open Innovation und wie ist sie entstanden?

Wenn man ein wenig in der Zeit zurückgeht, dreieinhalb Jahrhunderte, um genau zu sein, dann stößt man auf einen Wettbewerb, den im 17. Jahrhundert die sechs Seemächte Europas initiierten, um einen präzisen Weg zur Navigation auf den Meeren zu finden. Speziell ging es um eine genauere Methode der Zeitmessung, um den Längengrad zu finden. Dieser Wettbewerb inspirierte die großen Geister der damaligen Zeit, darunter Galileo Galilei und Christiaan Huygens, Lösungen für das Dilemma zu finden. Nun, das Problem wurde schließlich im 18. Jahrhundert von einem englischen Uhrmacher gelöst, der schließlich den Preis für den Wettbewerb beanspruchte.

Aber das ist nicht der Punkt. Die unzähligen Erfindungen, die durch den Wettbewerb inspiriert wurden, können noch heute in klassischen Zeitmessern gefunden werden. Dies war tatsächlich eine sehr frühe Form der offenen Innovation, bei der verschiedene Parteien Ideen zur Lösung eines allgemeinen Problems bearbeiten. Natürlich war die Art der Zusammenarbeit im 17. Jahrhundert recht rudimentär, da es unwahrscheinlich ist, dass sich die Vordenker hinter den Erfindungen gegenseitig Notizen über ihre Arbeit machten. Ungeachtet dessen war es aber zum Erreichen eines größeren Ziels notwendig und wichtig auf das geistige Potenzial externer Mitwirkender zurückzugreifen. Die Geschichtsbücher sind noch weiter zurückreichend mit gekrönten Häuptern gespickt, die Wettbewerbe vorschlugen, um Wege zur Verbesserung ihrer Herrschaft zu finden.

Der Begriff der Open Innovation wurde jedoch erst 2003 von Henry Chesbrough in seinem Buch „Open Innovation: The New Imperative for Creating and Profiting from Technology" geprägt, um die moderne Sichtweise der Vorteile einer innovativen Zusammenarbeit mit externen Parteien zu erklären.

Aber was genau ist jetzt Open Innovation? Open Innovation ist im Grunde eine Alternative zur konventionellen Methode der Innovation, bei der Informationen innerhalb vorgegebener Grenzen bleiben müssen, die sogenannte „geschlossene Innovation“. In der Offenen Innovation hingegen ist die Haltung eher, offen zu sein für den Austausch und Empfang von Informationen. Um das Konzept besser verstehen zu können, helfen folgende Fragen:

 

• Was ist Open Innovation?

• Was sind die Vorteile der Open Innovation?

• Was sind die Herausforderungen der Open Innovation?

• Wie wird Open Innovation durchgeführt?

 

Und diese Fragen lassen sich am besten im direkten Vergleich mit der eher konventionellen „geschlossenen Innovation" betrachten.

 

Offene vs. geschlossene Innovation

Die „geschlossene Innovation“ beruht auf der Idee, dass internes Fachwissen (Ideen) zusammen mit einem iterativen Prozess zur Verwaltung dieses Fachwissens nachhaltig neue Produkte hervorbringen kann. Informationen verbleiben innerhalb der Grenzen des Unternehmens und werden nicht an externe Parteien weitergegeben. Veranschaulichen lässt sich dies anhand eines Trichters mit soliden Wänden, die den begrenzenden, aber sicheren internen Entwicklungsprozess darstellen (Abb. Linke Seite).

Verändert nach Isomäki, A., Viima 2018 – Open Innovation

Offene Innovation hingegen basiert auf der Überzeugung, dass sachkundige und kreative Personen außerhalb des Unternehmens zum Erreichen strategischer Ziele beitragen können, und dass die gemeinsame Nutzung von geistigem Eigentum auf beiden Wegen für verschiedene Parteien auf unterschiedliche Weise nützlich ist. Je mehr Informationen gewonnen werden, desto fundierter sind letztlich die Entscheidungen. Der offene Innovationstrichter gleicht eher einer Mischung aus einem Sieb und einem Trichter, da der Entwicklungsprozess nicht auf Einzelpersonen innerhalb des fördernden Unternehmens beschränkt ist. Darüber hinaus ist auch die Anzahl der Ideen höher und Auswirkungen auf verschiedene Märkte möglich. Beides hat seinen Platz, da nicht alle Informationen mit der Außenwelt geteilt werden können. Aber wenn man den Input von Tausenden von Verbrauchern erhält, kann dies zu einem sehr bedeutenden Wettbewerbsvorteil führen.

 

Einige Beispiele für Open Innovation

Nachfolgend werden drei Beispiele beschrieben, von denen zwei Erfolgsgeschichten sind. Wichtig ist, zu verstehen, warum gewisse Unternehmen erfolgreich oder gescheitert sind.

 

Philips - ein Campus der Kreativität

Von Rasierern und Wasserkochern bis hin zu Haartrocknern: Philips ist eine anerkannte Marke für Qualität und Benutzerfreundlichkeit. Aber wie konnten sie in so vielen Branchen Fuß fassen? Was ist das Geheimnis ihrer Innovationskraft? 1998 richtete Philips den Philips High Tech Campus ein, um seine F&E-Aktivitäten zu zentralisieren. Dieser wurde später in den High Tech Campus Eindhoven umbenannt, als sich die Türen des Campus öffneten und es anderen Unternehmen sowie der Technischen Universität Eindhoven ermöglicht wurde, sich an diesem Abenteuer zu beteiligen (https://www.tue.nl/en/research/flagshipcollaborationmarch2018/). Auf diese Weise war es Philips auch möglich, das Expertenwissen und die Einsichten mit unterschiedlichem Hintergrund zu nutzen und Anderen eine inspirierende F&E-Spielwiese zu bieten.

© Philips

 

Für Philips war dies ein fruchtbares und faszinierendes Experiment der Open Innovation. Um große Herausforderungen gemeinsam angehen zu können, startete Philips 2014 ein Joint Venture mit der Technischen Universität Eindhoven und diversen Krankenhäusern sowie anderen Organisationen. Die zu lösenden Aufgaben reichen seitdem vom erschwinglichen Zugang zu einer hochwertigen Gesundheitsversorgung bis hin zu energieeffizienter Beleuchtung für dicht besiedelte Städte. Dies ist ein Beispiel für eine kreative offene Zusammenarbeit zwischen dem privaten und dem öffentlichen Sektor, um Forschungsthemen und Wissen zu vernetzen und wichtige Entdeckungen zu machen.

Ein weiteres Beispiel für die offene Innovationspräsenz von Philips auf dem Campus ist das Open Innovation Lab MiPlaza, in dem Unternehmen ihre eigenen Anwendungen entwickeln können und Zugang zu Forschung und Know how von Philips haben. Im Gegenzug kann Philips die von den Unternehmen im Labor gemachten Erfindungen zur Verbesserung ihrer eigenen Lösungen nutzen. In einem Interview von 2009 mit Gerjan van de Walle, Business Development Manager bei Philips, argumentierte er, dass einige der Projekte im MiPlaza, die von der Verbesserung der Videokodierung bis zum Bau von Öfen für Drittweltländer reichen, für Philips zwar irrelevant erscheinen mögen, der offene Innovationsprozess des Labors aber garantiert, dass alles, was entwickelt wird, auf jeden Fall irgendwie relevant ist.

Für Philips hat der Campus in Eindhoven eine wichtige Rolle dabei gespielt, bis heute zu den innovativsten Unternehmen in den Niederlanden, vielleicht sogar in Europa zu gehören. Tatsächlich wurden 2017 laut innovationorigins.com allein aus den Niederlanden 1.733 neue Patentanmeldungen eingereicht. Dennoch ist es schwierig, die tatsächlichen Auswirkungen der Offenen Innovation für Philips zu beziffern, da der wahre Wert dieser Patente firmenintern bleibt. Die Tatsache, dass sie immer noch stark in Eindhoven engagiert sind, spricht jedoch für eine positive Investition.

 

Tchibo – Crowdsourcing mit Erfolg

Im Rahmen von Branded Communities finden sich zahlreiche erfolgreiche Beispiele für Open Innovation. Der Kaffeeröstkonzern Tchibo startete 2008 eine Crowdsourcing-Community mit eigener Webseite (Tchibo Ideas), auf der sich Konsumenten und Interessierte eintragen und Produktideen entwickeln, diskutieren und bewerten konnten. Wurde eine sehr hohe Bewertung erzielt, ist das Produkt dann auf seine Markttauglichkeit hin überprüft worden.

 

© Pompi / Pixabay

 

Aber hier hat Tchibo noch nicht aufgehört. Neben der Einreichung, Kommentierung und Bewertung von neuen Produktideen konnten auch neue Herausforderungen gestellt werden. Die Teilnehmenden hatte die Möglichkeit, ungelöste Alltagsprobleme zu nennen. Diese Aufgaben konnten wiederum kommentiert und bewertet werden, so zum Beispiel die Hässlichkeit von alltagstauglichen Fahrradhelmen. Die sollten doch bunter sein, vor allem für Kinder. Dieses Beispiel zeigt, wie relevant das Erkennen von Problemen und das Stellen der richtigen Fragen ist. Denn nur, wenn man ein Problem erkannt hat, kann man eine Lösung dafür finden.

 

Fiat – Ideenwettbewerb mit Finesse

Der Automobilhersteller Fiat hat sich in geschickter Weise vor der Markteinführung seines Fiat 500 die kreativen Ideen der interessierten Öffentlichkeit für die Entwicklung zunutze gemacht, indem diese auf einer eigens dafür geschaffenen Homepage Vorschläge zu Design und Ausstattung hinterlassen konnten, wie Auto + Motor 2006 berichtete.

 

© Fiat

 

Durch die Gestaltung von Ideenwettbewerben bindet der Konzern spätere Konsumenten und erhält eine Vielzahl verwertbarer Ideen. In diesem Fall konnte Fiat aus über 170.000 Vorschlägen auswählen.

 

 

Netflix – Ein Wettbewerb mit Problemen

Im Jahr 2006 startete Netflix einen Open Innovation-Wettbewerb namens Netflix-Preis, der für jede externe Person aus der Öffentlichkeit zugänglich war. Ziel des Wettbewerbs war es, einen Filteralgorithmus zu entwickeln, der Film- und Serienvorschläge an die Benutzer im Vergleich zum bestehenden Algorithmus um 10% verbessert. Als Gewinn des Wettbewerbs bot Netflix einen Hauptpreis von $1 Million an. In etwas mehr als einem Jahr hatten über 40.000 Teams aus 186 Ländern am Wettbewerb teilgenommen. In knapp drei Jahren hatten zwei Teams einen Weg gefunden, die Vorschläge um über 10% zu verbessern, wovon eines den Hauptpreis gewann. Wired.com berichtete 2012, dass der Algorithmus des mit dem Hauptpreis ausgezeichneten Teams zu aufwändig zu entwickeln war, und sich Netflix stattdessen für einen der Zweitplatzierten entschied, der immerhin noch eine Verbesserungsrate von 8,43% aufwies. Obwohl Netflix letztendlich das bekam, was es wollte (oder zumindest dem sehr nahe kam), haben sie sich aufgrund von Bedenken hinsichtlich des Datenschutzes dazu entschlossen, zukünftige Wettbewerbe auf unbestimmte Zeit nicht mehr auszurichten. Einige Parteien argumentierten, dass die Daten bezüglich der Bewertungen, die veröffentlicht wurden, damit die Bewerber ihre Algorithmen testen konnten, die Privatsphäre der Benutzer verletzten. Positiv ist jedoch zu vermerken, dass Netflix durch den offenen Wettbewerb erst in der Lage war, Programmier-Talente zu finden sowie sein Produkt und die neue Vorschlagsfunktion zu vermarkten.

 

Mountain Dew – Ein epischer Fehlschlag

Für Mountain Dew (PepsiCo) ist Open Innovation kein Fremdwort, weder im Guten noch im Schlechten - wie es scheint. 2009 wurde eine Plattform namens DEWmocracy ins Leben gerufen, auf der Kunden gemeinsam neue Limonaden-Geschmacksrichtungen entwickeln konnten. Dieses Vorhaben war laut adweek.com von 2010 ein großer Erfolg. Die Firmenleitung erhielt nicht nur neue Geschmacksrichtungen, die genau der Nachfrage entsprachen, sondern dieses Projekt diente auch als Marketingkanal für neue Produkte. Der Erfolg war leider von kurzer Dauer. Beflügelt von den positiven Erfahrungen stürzte sich das Unternehmen direkt in eine klassische Falle der offenen Innovation, das Namensspiel. Im Jahr 2012 veröffentlichte Mountain Dew ihre Dub The Dew Kampagne mit der offensichtlichen Absicht, einen publikumswirksamen Namen für ihr neues Produkt mit grünem Apfel zu erhalten. Die Kampagne war ein epischer Fehlschlag. Die Namen, die weit vorne lagen, reichten von Witzen bis hin zu makabren Aussagen. Später beendete Mountain Dew die Kampagne und gab ihr Scheitern zu. Mountain Dew war dem Hack von Trollen zum Opfer gefallen, was in den Medien auf der ganzen Welt für große Aufmerksamkeit sorgte.

 

Schlussbemerkungen

Gibt es ein ultimatives Erfolgsrezept für Open Innovation oder ist es einfach nur Glück? Aus den Beispielen lässt sich klar erkennen, dass es viele Dinge gibt, die die Erfolgschancen eines Unternehmens beeinflussen, wie z.B. die Kundenbasis, die Marke, der Markt sowie die Art der Ausführung. Es gibt aber auch eine Vielzahl von Zufallsfaktoren, die eine Kampagne aus der Bahn werfen können. Daher kann es auf der Grundlage eben dieser Informationen recht schwierig sein, eine fundierte Entscheidung darüber zu treffen, ob und aus welchem Blickwinkel Open Innovation versucht werden sollte. Open Innovation kann ein kostengünstiges Instrument zur Auslagerung der Ideenfindung oder aber ein peinlicher Ort für versenkte Investitionen sein. Bevor man sich zwischen offener und geschlossener Innovation entscheidet, sollte man sein Ziel ganz genau definieren und nicht nur an die Kostenersparnis denken. Offene und geschlossene Innovation existieren beide aus einem Grund. Analysiert man im Vorfeld diese Gründe, kann man das Beste aus beiden Herangehensweisen herausholen.


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