„Strategie“ ist ein häufig genutzter Begriff, der sich in nahezu jedem Lebensbereich wiederfindet: der Kriegsführung, im Sport, im Spiel, aber auch in der Wirtschaft, im Finanzwesen und in sozialen Bereichen. Doch das war nicht immer so, denn bis vor ca. 200 Jahren war der Strategiebegriff noch strikt dem militärischen Bereich zugeordnet. Und wenn wir uns die ursprüngliche Bedeutung anschauen, dann wird auch schnell klar, warum. Denn Strategie leitet sich vom griechischen „strategia“ ab und bedeutet soviel wie „die Kunst des Generals, eine Armee zu führen“.
Wenn man heute von Strategie spricht, dann bezieht man sich eher auf einen generellen Plan, mit dem man unter ungewissen Bedingungen ein Gesamtziel oder eine Vision erreichen möchte. Die Strategie ist hierbei nicht mit der Taktik gleichzusetzen, da Taktiken Manöver sind, die die Gesamtstrategie unterstützen sollen. Leider kommt hier häufig das Leben dazwischen, was oben als „ungewisse Bedingung“ bezeichnet wurde oder um John Lennon zu bemühen: „Leben ist das was passiert, während Du andere Pläne machst.“ Egal, wie sehr man etwas plant, es gibt immer widrige Umstände, die zu einer Verschiebung oder zu einem Scheitern der Planung führen können. Auch bekannt als "The best laid plans..." (Gedicht von Robert Burns, 1785).
Darum ist es essentiell, die Planung variabel zu gestalten und mit unterschiedlichen und wechselnden Taktiken zu unterstützen. Sind die Taktiken nicht erfolgreich, müssen sie ausgetauscht werden. Führen aber alle Taktiken und damit die Gesamtstrategie nicht zum Erfolg, sollte darüber nachgedacht werden, die Strategie zu wechseln oder die Vision neu zu definieren, vor allem, wenn sie zu ambitioniert ist.
Strategiewechsel und nachfolgender Erfolg
Ein berühmtes Beispiel für einen Strategiewechsel, der dann doch noch zum Erfolg führte, wurde von Homer in der Ilias und der Illiu persis beschrieben: Nach 10-jähriger erfolgloser Schlacht der griechischen Allianz der Achaier gegen die Trojaner wechseln die Griechen ihre Strategie und ziehen sich von den Stränden Trojas komplett zurück. Sie hinterlassen jedoch als Opfergabe an die Göttin Athene ein riesiges hölzernes Pferd, in dem sich die stärksten Krieger der Griechen verstecken. Die Trojaner ziehen das Gastgeschenk in die Stadt vor den Tempel der Athene, wo nachts die griechischen Krieger aus dem Pferd klettern und der griechischen Armee, die mit ihren Schiffen heimlich wiedergekehrt sind, die Tore öffnen und den Untergang Trojas besiegeln.
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Die List wird Odysseus zugeschrieben und gilt noch heute als Paradebeispiel für einen Sieg durch ein vergiftetes Geschenk. Laokoons Ausspruch: „Ich fürchte die Danaer, auch wenn sie Geschenke bringen“ und die amerikanischen Redewendungen „There is nothing like a free meal“ und „There is always a catch“ zeugen von der Erkenntnis, dass alles einen Preis hat und es „Geschenke“ in Verhandlungen und Auseinandersetzungen nicht gibt. So findet sich das Trojanische Pferd auch heute noch im Schachspiel wieder, z.B. als „vergifteter Bauer“ oder als vermeintliches „Damenopfer“ und hat sich seinen Platz auch in der Informatik als Schadsoftware („Trojaner“) gesichert.
Strategiewechsel und nachfolgende Vernichtung
Ein Beispiel aus der Geschichte zeigt uns, wie Taktiken perfekt funktionieren können, aber ein Strategiewechsel dann doch oder gerade deswegen zur Niederlage und letztendlich zur völligen Vernichtung geführt hat. Als Karthago, die führende Macht im Mittelmeer um 250 v. Chr., den ersten punischen Krieg gegen die aufstrebenden Römer verloren hatte, schwor Hannibal seinem Vater und karthagischen Feldherrn Hamilkar, Rom in die Knie zu zwingen. Er studierte die römischen Legionen und deren Kriegsführung sehr akribisch und konterte im zweiten punischen Krieg deren Schwächen taktisch brillant in Unterzahl immer wieder aus. Seine zu der damaligen Zeit völlig überraschende Überquerung der Alpen mit Kriegselefanten und seine Schlachten am Ticinus, an der Trebia und am Trasimenischen See werden heute noch in Militärakademien als außergewöhnliche strategische Meisterleistungen gelehrt. Vor allem aber seine Schlacht bei Cannae, wo er mit seinen etwa 50.000 Soldaten durch ein Umfassungsmanöver eine römische Armee von 16 Legionen (etwa 80.000 Mann) fast vollständig vernichtete, ging in die Geschichte ein und brachte Rom an den Rand des Untergangs. In den siebzehn Jahren, in denen Hannibal durch Italien zog, blieb er unbesiegt. Erst in Scipio dem II. fand er einen würdigen Gegenspieler, der ihn seinerseits ebenso akribisch studiert hatte und ihm in Afrika seine erste, aber entscheidende Niederlage beibrachte und das Schicksal von Karthago besiegelte. Die Geschichte zeigt, dass Hannibal zwar alle Taktiken perfekt eingesetzt hat, um Rom zu bezwingen, aber die Strategie hätte die Belagerung und Zerstörung Roms sein müssen, für die er nicht genügend ausgerüstet war. Die Spekulation, dass alle Verbündete sich von Rom abwenden und Rom kapitulieren würde, ist nicht aufgegangen. Und mit jedem Jahr, das danach verstrich, wurde Rom wieder stärker und Hannibal schwächer. Das richtige „Timing“ ist nicht nur bei militärischen Auseinandersetzungen von Bedeutung, sondern auch im Motorsport sowie im Schach, aber auch in der Wirtschaft, z.B. beim Markteintritt einer neuen Firma oder eines neuen Produkts. Das Timing ist eines von vielen Faktoren, die bei der Strategie über Sieg und Niederlage entscheiden.
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Strategie und Taktiken werden beibehalten und führen zum Erfolg
Das dritte und letzte Beispiel aus der Geschichte zeigt, wie erfolgreich eine Strategie gegen einen übermächtigen Gegner sein kann, wenn Gegner und Kampfweise gut studiert, das Schlachtfeld passend gewählt und die Taktiken mit den richtigen Kriegern perfekt umgesetzt werden.
Im Jahr 9 nach Christus lockte der Cheruskerfürst Armenius mit Hilfe verschiedener germanischer Stämme drei römische Legionen des Publius Quinctilius Varus samt Hilfstruppen in einen Hinterhalt und vernichtete diese und damit ca. ein Achtel des Gesamtheeres des römischen Reiches (Annalen des Tacitus, Cassius Dio: Römische Geschichte). Damit dieser strategische Coup gelingen konnte, mussten mehrere Bedingungen erfüllt sein: 1) Armenius musste es gelingen, die zerstrittenen germanischen Stämme für die Schlacht gegen die Römer zu vereinen. 2) Als Vertrauter von Varus musste Armenius die Legionen von der eigentlich geplanten Route weglocken und in einen Hinterhalt in schwer passierbarem Gelände führen. 3) In einer abgestimmten Guerilla-ähnlichen Taktik mussten die wie an einer Perlenschnur aufgereihten römischen Truppen kontinuierlich aus dem Hinterhalt angegriffen werden, wobei zuerst die Vorhut und der Nachschub zerstört werden sollten. Die Folge war eine Versprengung der römischen Krieger, die dadurch in unbekanntem Gelände zur leichten Beute der Germanen wurden.
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Der Sieg über Varus und die Vernichtung seiner Legionen durch Armenius beendete die römischen Bemühungen, die rechtsrheinischen Gebiete Germaniens zu einer Provinz des Römischen Reiches zu machen und veränderte dadurch die Geschichte der germanischen Stämme.
Bausteine einer Strategie
Aus den oben beschriebenen Beispielen lässt sich einiges über Strategien ableiten, auch was die Kernelemente einer guten Strategie sind und was diese ausmacht. So braucht jede Strategie den Wunsch nach Veränderung des Status Quo in Form einer Vision, eines zu erreichenden Ziels. Dabei ist es essentiell die Vision bzw. das angestrebte Ziel realistisch zu formulieren, sonst nutzen die besten Taktiken und Maßnahmen nichts und die Strategie wird scheitern. Für ein neues Produkt könnte ein Ziel die schnelle Marktdurchdringung oder eine marktbeherrschende Position in einem definierten Zeitraum sein.
Während im Schach das Spielfeld vorgegeben ist, kann vor allem in militärischen Bereichen „das Spielfeld“ als taktisches Manöver mit ausgewählt werden, wie die Beispiele von Hannibal und Armenius gezeigt haben. Aber auch das wirtschaftliche „Spielfeld“ bzw. der Markt kann für die Einführung eines neuen Produkts oder für die Zulassungsstudie eines neuen Medikamentes von entscheidender Bedeutung sein, z.B. wenn man sich dafür entscheidet, gleichzeitig mehrere Märkte zu bedienen. Das Risiko steigt zwar dadurch, dass man in einem Markt scheitert, aber im Erfolgsfall geht die Durchdringung schneller voran und der Umsatzzuwachs ist erheblich höher.
Das Wissen über den Gegner und seine Handlungsweisen, sei es im Krieg, im Spiel und Sport oder am Markt, ist ein wichtiger Faktor für eine erfolgreiche Strategie, denn es hilft uns, fremde Taktiken und Reaktionen auf unsere eigenen Aktionen vorherzusehen. Schon 500 vor Christus schrieb der chinesische Berater des Königs und Militärstratege Sunzi: „Wenn Du Dich und Deinen Feind kennst, brauchst Du den Ausgang von hundert Schlachten nicht zu fürchten.“ (Sunzi: Die Kunst des Krieges). Im Fokus des Buches steht der Einsatz aller notwendigen und zur Verfügung stehenden Mittel sowie Flexibilität zur Erreichung des Zieles.
Auch kann das richtige Timing für bestimmte Aktionen spielentscheidend sein oder wie im Falle Hannibals, kriegsentscheidend. Im Motorsport kann das richtige Timing des Reifenwechsels über einen Platz auf dem Podest entscheiden und der richtige Zeitpunkt für die Auswechslung einer Spielerin bzw. eines Spielers kann im Fußball eine Partie drehen.
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Im Schach kann der Tempogewinn eine Partie entscheiden bzw. durch die falsche Abfolge von Zügen das Spiel verloren gehen. In der Wirtschaft kann ein Startup scheitern, wenn der Zeitpunkt des Markteintritts ungünstig gewählt wurde oder unvorhersehbare Ereignisse (wie z.B. eine Pandemie oder ein Krieg in Europa) die Weltwirtschaft erschüttern und Lieferketten durcheinanderwirbeln.
Man braucht jetzt noch einen guten Überblick über die eigenen Fähigkeiten bzw. Möglichkeiten, um das Spiel zu gewinnen, d.h. welche Spieler können taktisch an den richtigen Positionen eingesetzt werden und welche finanziellen und strukturellen Mittel stehen zur Verfügung? Die verschiedenen Krieger mit ihren unterschiedlichen Fähigkeiten hat sich Hannibal zu Nutze gemacht, um sie gegen die zahlenmäßig überlegenen Römer taktisch klug zu positionieren und mit ihren spezifischen Stärken die Standardaufstellung der römischen Legionen zu überwinden und zu umschließen.
Last but not least liegen Erfolg und Misserfolg einer Strategie bei der Führungsebene. Wie flexibel wird hier auf äußere Einflüsse reagiert. Wann werden Mitarbeiter rekrutiert, Finanzmittel investiert und Konkurrenten angegriffen? Wie werden taktische Manöver ausgewählt und wie starr hängt man an der gewählten Strategie?
Zusammenfassung
Abschließend lässt sich sagen, dass eine gute Strategie eine Vision braucht, ein geeignetes Spiel- oder Schlachtfeld bzw. einen Markt, spezifisches Wissen über den Gegner bzw. Konkurrenten, ein Gespür für den richtigen Zeitpunkt zum Angriff bzw. Markteintritt, fähige Krieger bzw. Mitarbeiter, die taktisch klug an der richtigen Position eingesetzt werden, unterstützende Finanzmittel und flexible Führungs- bzw. Managementvorgaben, um erfolgreich zu sein.